Shoefiti ist keine Schuhmesse oder Schuhveranstaltung im schleswig-holsteinischen Flensburg, sondern Street-Art, die in der norddeutschen Stadt ihre praktische Umsetzung gefunden hat und weltweit Beachtung findet.
Der englische Mix aus Shoe und Graffiti ergibt Shoefiti und bedeutet so viel wie freie Schuhkunst im öffentlichen Raum, insbesondere im Bereich der Straßenkunst. Schuhe werden mit ihren Schnürsenkeln zusammengebunden und über Äste, Kabel, Wäscheleinen geworfen.
Dort bleiben sie dann für lange Zeit oder sogar für immer hängen und werden wie im deutschen Flensburg zu einem Stück urbaner Kultur, die Einheimische wie Touristen begeistert.
Die Entstehung und Entwicklung von Shoefiti
Schuhe öffentlich mit und ohne spezielle Aussage zu platzieren, ist im Rahmen der allgemeinen Kunst nicht ungewöhnlich, wobei es sich dann aber meist um zeitlich begrenzte Kunstwerke handelt. Der Shoefiti-Ansatz geht vermutlich auf Gepflogenheiten aus Amerika und Schottland zurück, ganz Genaues weiß man nicht. In dem berüchtigten New Yorker Stadtteil Bronx galten Schuhe, die an Leinen, Bäumen oder Leitungen aufgehängt wurden, als Markierung für das jeweilige Drogengebiet oder als Hinweis, dass in diesem Bereich ein Mitglied einer Straßengang ermordet wurde. Weiterhin soll es das Ritual des Schuhwurfs in Baumkronen oder auf Leinen auch bei Studenten nach dem erfolgreichen College-Abschluss oder als letzte Ehre für gefallene Soldaten geben. Die schottischen Männer hängen ihre Schuhe ins Fenster, wenn sie ihre Jungfräulichkeit verloren haben, erzählt man. Auch im Film wurde Shoefiti schon öfter als Understatement mit nachhaltiger Wirkung in Szene gesetzt.
In Deutschland findet sich das Paradebeispiel für Shoefiti in der Flensburger Norderstraße und weist ganz eigene Geschichten und Legenden auf. Davon inspiriert, hat auch die Hauptstadt Berlin diesen Kunsttrend aufgegriffen. Vorreiter bleiben jedoch die Schuhleinen in Flensburg.
Shoefiti in Flensburg: Die Schuhleinen als Wahrzeichen und Sehenswürdigkeit
In der Norderstraße in Flensburg, die zur Altstadt gehört, baumeln mittlerweile über 150 gebrauchte und ausgelatschte Schuhpaare (300 Schuhe) von den Drahtseilen, die in einer Länge von vier Metern zwischen den Häusern gespannt sind und einst der stillgelegten Straßenbahn als Fahrdraht-Aufhängung dienten.
Das subkulturelle Schuhkunstwerk ist fester Bestandteil der Sehenswürdigkeiten, wird in den Stadtführungen berücksichtigt und gilt mittlerweile als Wahrzeichen der Stadt, die für ihr Punkteregister und das Flaschenbier mit Bügel bekannt ist. Vom Sneaker in allen Variationen über luftige Sommerschuhe bis hin zu den ollen Lederschnürern im Dandy-Stil hängt hier alles, was Schnürsenkel oder Bindebänder vorweisen kann, frei geworfen in den Seilen. Auch die Amerikaner lässt diese Sensation nicht kalt. Sie kürten die Norderstraße im Jahre 2014 zu einer der verrücktesten Straßen der Welt.
Von den Legenden und der Wahrheit über die Flensburger Schuhleinen
Das besondere Phänomen der baumelnden Schuhe, die noch längst nicht ihre Maximalanzahl erreicht haben, ranken sich zahlreiche Entstehungslegenden. So wird erzählt, dass ein Schuster einst selbst eine der Leinen spannte und sein letztes Paar Schuhe als Zeichen seiner Geschäftsaufgabe darüber geworfen hat. Auch das amerikanische Vorbild der Drogengebiet-Markierung wurde schon herangezogen. Studentenstreiche, versteckte Hinweise auf leichte Mädchen in der Nähe, betrunkene Diskobesucher oder politischer Protest gehören ebenfalls zu den Erklärungen für das Schuhphänomen. Doch in Flensburg ist die Wahrheit viel kurioser und somit schöner als alle Mythen.
Die historische Norderstraße mit ihren alten Häuschen ist ein belebtes, multikulturelles Viertel mit zahlreichen Szeneläden und Treffpunkten. Und wie es sich für ein Szene-Viertel gehört, darf ein Skatershop nicht fehlen. Die jungen Kunden ließen ihre alten Sneaker gleich im Geschäft und stolzierten mit den neuen aus der Ladentür heraus. Der Inhaber entsorgte jedes da gelassene Paar fortan über den Seilen. Der Besitzer des angrenzenden St. Pauli Fanshop soll kurze Zeit später nachgezogen haben. Seit 2005 tun es ihm auch andere gleich, aus den verschiedensten Beweggründen. Es ist in der Norderstraße einfach Kult geworden, seine alten Latschen mit Schwung in die Luft zu werfen, bis sie endlich hängenbleiben.
Aber auch an dieser Version gibt es Zweifel, weshalb das Stadtmarketing, das immer und immer wieder mit bohrenden Fragen nach der Entstehung gelöchert wurde, 2011 einen Schreibwettbewerb initiierte, der die kreativsten Legenden prämiert und in einer Schautafel in der Straße ausgestellt hat. So einfach ist das doch.
Flensburger Studentinnen nutzten die Schuhleinen im Jahr 2017 als kreative Plattform für ihre BHs, um damit der natürlichen Schönheit, Vielfalt und Selbstbestimmung Nachhaltigkeit zu verleihen.
Viel Diskussions- und Zündstoff um die baumelnden Treter
Das berühmte Flensburger Nordertor hat als Wahrzeichen ausgedient und steht heute im Schatten der Schuhleinen. Allerdings finden sich auch Stimmen aus der Bevölkerung bzw. der Anwohner, die der Sache skeptisch bis argwöhnisch gegenüberstehen. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass bereits zweimal Seile gerissen sind, da sie der Last wohl nicht mehr standhalten konnten. Die Angst vor herabfallenden Schuhen, die einen ja erschlagen könnten, wird zum Thema, ebenso wie die versicherungsrechtlichen Aspekte. Allerdings sieht sich niemand zuständig und das Stadtmarketing wird sich wohl kaum sein neues Wahrzeichen rauben lassen. Die Diskussionen gehen weiter, aber was sich etabliert hat, ist so schnell nicht tot zu kriegen. Hier zeigt sich wunderbar, wie Straßenkunst ihren wahren Zweck erfüllt: Sie wird bestaunt, regt an, stößt an, liefert Stoff für Spekulationen und hitzige Debatten. So soll es sein. Und es wäre wirklich schade, wenn das urbane Kunstwerk eines Tages verschwunden ist.