Overknees – Über den Knien: Die Stiefel, bei denen der extralange Schaft mindestens einige Zentimeter übers Knie reicht, ist salon- und gesellschaftsfähig geworden. In fast jeder Herbst-/Wintersaison laufen sie an den hübschen Beinen der Models über die Laufstege und ihnen wird eine Modestrecke in den Hochglanz-Modemagazinen gewidmet. Ganz zu schweigen von den Online-Medien, die sich mit Trends, Schuhen, Mode beschäftigen und immer einen freien Platz für die mutigen Stiefelchen haben. Die offizielle Geschichte der Overknee-Stiefel begann in den 1960er Jahren, doch gänzlich unbekannt waren die überkniehohen Langschaftstiefel auch bis dahin nicht.
Overknees: vom Fischer- und Reiterstiefel zum Sex-Symbol
Schon seit dem 15. Jahrhundert kennt man Overknees, allerdings überwiegend als Herrenstiefel. Sie wurden als Reiterstiefel aus Leder über die Hosen angezogen, um die Beine des Reiters vor der Reibung am Pferdeleib zu schützen, was heute die Aufgabe spezieller Reithosen ist. Sie reichten bis ungefähr zum Ansatz der Oberschenkel. Daher kamen die Langschaftstiefel in dieser Zeit bei den Soldaten der berittenen Armee gerne zum Einsatz, Bodentruppen, die sich durch Schlamm und Matsch kämpfen mussten, schätzten die Stiefel ebenso.
Auch die Fischer machten sich die Stiefel mit dem superlangen Schaft zunutze. Diese wurden in der frühen Zeit aus Holzhalbschuhen mit angesetztem Lederschaft gefertigt, später ging die Herstellung zu Vollleder über, bis letztlich Gummi für den wasserdichten Stand sorgte. Der hohe Schaft, der bis über die Knie reicht, ist bis heute das Markenzeichen der Gummi-Overknees für Angler und alle, die im Wasser zu tun haben.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam in London ein beliebtes Gesellschaftsspiel auf: Principal Boy. Bei diesem Pantomime-Spiel verkleideten sich Frauen als Männer und trugen die Overknee-Reiterstiefel als Symbol für Unerschrockenheit, männliche Coolness und Heldentum. In den Variétes der 1920er- bis 1940er-Jahre tauchten die überlangen Damen-Stiefel dann erstmals an nackten Damenbeinen auf und setzten so auch im Zuge der beginnenden Emanzipation ein subtil-dominantes Zeichen, das jedoch vorerst im Rotlicht-Milieu beheimatet bleiben sollte. Denn Overkneestiefel sind immer außergewöhnliche Eyecatcher. Sie betonen und strecken das Bein ihrer Besitzerinnen und vermitteln neben aparter und stilvoller Eleganz immer auch einen Hauch von Erotik.
Ikonen für die Overknees: Emma Peel und Pretty Woman
Mit Mary Quant, der Erfinderin des Minirocks, bewegte sich in der Stiefel-Produktion so einiges, der Schaft verlängerte sich kontinuierlich, auch um den konservativen Kreisen nicht zu viel an nacktem Bein zum Minirock zuzumuten. Der erste Designer, der erstmals überkniehohe Stiefel als modischen Aspekt aufnahm, war Pierre Cardin, der seine A-Linie-Kleider zu Beginn der 1960er-Jahre mit diesen extrem hohen Stiefeln präsentierte. Bis heute gilt der französische Couturier als Erfinder der futuristischen Mode – wenn das nicht passt.
Richtig populär wurden die Stiefel im Jahre 1961 mit Ausstrahlungsbeginn der Kult-Serie „Mit Schirme, Charme und Melone“ durch die sexy Geheimagentin Emma Peel, die zu ihrem schlichten strengen Agentenlook dieses – damals eher anzügliche – Schuhwerk trug, in deren Schaft sie ihre Waffe geschickt verstecken konnte. Die toughe Frau war geboren.
Wie viele Anregungen in den 1960er-Jahren, einem Jahrzehnt, das sich gerne mit Überdimensionen und Zukunftsvisionen beschäftigte, schafften es auch die Langstiefel nicht wirklich in die Gesellschaft. Dafür blieben sie auf der Straße und wurden zum Markenzeichen von leichten Mädchen. Dieses Klischee verfestigte Julia Roberts im 1990er-Jahre Filmhighlight „Pretty Woman“ in der Rolle der Prostituierten Vivian, die in schwarzen Lackleder-Overknees für Zündstoff sorgte und insbesondere einen neuen Boom in der Fetischszene auslöste. Doch auch die Modeverrückten der schrägen 90er setzten jetzt auf straßentaugliche Stiefel mit Schafthöhe über dem Knie, mit denen es sich so schön provozieren ließ.
So schnell, wie sie gehypt wurden, verschwanden die „Kinky Boots“ wieder aus der Modeszene, der Fetischszene blieben sie freudig erhalten und entwickelten sich hier auch weiter. 2009 kehrten Overknees zurück auf die internationalen Fashion-Weeks und avancierten zu einem Schuh-Favoriten zahlreicher Promidamen wie Madonna, Victoria Beckham, Theresa May. Sogar Amerikas Ex-Firstlady Michelle Obama hat sich ein Paar Overknees eigens für sich anfertigen lassen. Mittlerweile sind die extrem langen Stiefel fester Bestandteil der Damenschuhmode, auch wenn sie nach wie vor einige Anforderungen an die Kompatibilität mit Kleidung und Trägerin stellen, damit sie wirken.
Overknee-Ausführungen, die alle Stiefel-Facetten abdecken
Mit den ursprünglichen Reiter-, Soldaten- und Fischerstiefeln der Herren haben modische Damen-Overkneestiefel nur noch die Schaftlänge gemein, und auch die kann variieren. Overknees zeigen sich mit jeder Art von Absatz: Stiletto, Blockabsatz, Plateauabsatz, Keilabsatz, Pfennigabsatz, Trichterabsatz und noch viele mehr. Die Schuhspitze nimmt alle Formen an, von rund oder spitz bis hin zu karreeförmig und den vielen Zwischentönen.
Der Schaft geht mindestens bis knapp über das Knie, kann aber dazwischen in Längen bis zum Oberschenkelabschluss/Po reichen.
Materialtechnisch sind den Modellen keine Grenzen gesetzt: Glattleder, Rauleder, Lackleder, Gummi, Synthetik, Textil, Hightech- und Recyclingmaterialien. Als Verschlussoptionen kommen seitlicher, durchgehender Reißverschluss, kurzer Innenreißverschluss, Schnürung, Druckknöpfe in Frage.
Sock Boots als Variante
Auch Stiefel, deren Schaftansatz aus elastischen Stoffen gefertigt ist und in die Frau einfach reinschlüpft, sind als Overknees verfügbar. Die haben sogar einen eigenen Fashion-Namen: Sock Boots. Sock Boots können aber im Gegenteil zu den Stiefeln auch einen niedrigeren Schaft aufweisen. Ihr wichtigstes Merkmal ist das stretchige Material, das sich dem Bein der Trägerin perfekt anpasst und wie eine zweite Haut sitzt.
Schaftbreite ist entscheidend
Bei diesen Stiefelmodellen kommt es in Sachen Tragekomfort wesentlich auf die Schaftbreite an, denn der Schaft darf nicht einengen oder gar abschnüren. Entsprechend der körperlichen Proportionen muss sich der lange Schaft nach oben hin verbreitern, da die Oberschenkel immer mehr Umfang haben als Knie und Waden. Bei Schnürstiefeln lässt sich die Weite durch die Schnürung noch leicht korrigieren, bei Reißverschlüssen und Knopfverschluss ist das nicht der Fall. Dann geht der Stiefel nicht zu. Daher lieber bei etwas kräftigeren Beinen zu Modellen mit Weitschaft greifen.
Bei einigen Damen-Mdellen, insbesondere aus Glattleder, ist der vordere Schaft so geschnitten, dass er einige Zentimeter über das Knie hinausragt, während der hintere Schaft vor der Kniebeuge endet.
Modische Overknees lieben es farblich dezenter
Farblich passt sich der Overkneestiefel den modischen Trends an, nicht fehlen dürfen zeitlose Farbklassiker wie Schwarz, Grau, Grün- und Braun-Beige-Töne. Aufgrund der doch immer noch im Gedächtnis präsenten Assoziation mit dem verruchten Image des überkniehohen Stiefels, sind sehr knallige Farben ebenso wie leuchtendes Rot bis heute meist der Fetisch-Szene vorbehalten. Ganz frei von Klischees wird die Welt eben nie. Dafür finden sich viele sanfte Beeren- und Pudertöne. Denimblau hat immer Konjunktur und auch Farben wie Petrol oder Safrangelb schaffen es wiederkehrend auf die Trendfarbskala für überkniehohe Damenstiefel.
Sanfte und ausgewählte Designextras
Overknees ziehen schon durch die extravagante Schaftlänge und mitunter durch ihr Material die Blicke auf sich. Deshalb bleiben sie bei Designdetails und Extras zurückhaltend. Glitter, Glimmer, Pailletten und dergleichen sind eher etwas für Showstiefel. Die alltagstaugliche Version besticht durch feine Raffinessen wie Zugband am Schaftsaum, umklappbaren Schaft, markante Zier- und Teilungsnähte, punktierter Nietenbesatz am Schaftabschluss, einige wenige Schnallen und Zierstickereien Ton in Ton oder aber in Kontrastfarben.
Passend zu jeder Jahreszeit
Prinzipiell können modebewusste Frauen diese speziellen Stiefel zu jeder Jahreszeit tragen, sie bieten sich jedoch vorrangig für Frühjahr, Herbst und Winter an. Im Hochsommer wird es dann doch etwas zu warm in den Stiefeln, wenn die Sonne knallt und die Temperaturen die 25 Grad Marke überschreiten. Ansonsten finden sich jahrzeitgerechte Materialien, vom leichten textilen Obermaterial über sanftes Velourleder bis hin zu robustem Glattleder und synthetischen wintertauglichen Materialien.
Kombipartner Overknees – für welchen Frauentyp und welche Kleidung?
Ein heiß diskutiertes Thema, das heute jedoch nicht mehr so eng gesehen wird. Nicht nur große und schlanke Frauen können Overknee-Stiefel tragen, auch kleine Frauen und solche, mit mehr Format zeigen sich in diesen besonderen Stiefeln. Aber ganz nach Lust und Laune geht es dann doch nicht, denn zwei Regeln sind zu beherzigen:
- Erstens: Die Stiefel dürfen nicht billig (sprich anrüchig) aussehen.
- Zweitens: Die Modelle müssen zu den eigenen Proportionen und dem Outfit harmonieren.
Rock, Kleid und Hose/Jeans sind zunächst abgesehen von den Oberteilen und Jacken, die Kombipartner, die primär zur Auswahl stehen, wobei die Saumlänge ein ausschlaggebender Faktor in Bezug auf die eigene Figur ist.
Bei langen Hosen und Jeans lautet die Grundregel: Nur schmale, enganliegende Hosen zu diesen Stiefeln kombinieren. Die explizite Schaftlänge hängt wiederum von der Körpergröße ab. Große Damen können hinsichtlich der Schaftlänge flexibler sein. Bei kleinen Frauen sollte der Shaft nur knapp über das Knie reichen, damit das Verhältnis stimmig bleibt. Ton in Ton, also Hose und Stiefel in einheitlicher Farbe, streckt zudem, noch dazu, wenn es sich um schwarz handelt. Nach lang kommt direkt kurz, daher werden die Stiefel nicht zu knielangen Hosen oder Bermudas getragen, sondern zu Hotpants bei größeren Frauen mit verhältnismäßig schlanken Beinen.
Bei Röcken und Kleidern kommt es auf den Schnitt, den Fall des Rockteils und die Länge an. Overknees sind nicht zum Verstecken gedacht, weshalb sie zu Midi- oder Maxi-Länge ausscheiden. Bleibt nur noch Mini und hier kommt es auf die geschickte Kombination aus Rocksaumlänge und Stiefelschaft an. Zwischen 10 und 20 cm sollte der Abstand zwischen Rocklänge und Stiefelschaft mindestens betragen. Ob mit oder ohne Feinstrumpfhose bleibt der Witterung und dem Mut der Trägerin überlassen. Wenn Feinstrumpfhosen, dann Nude oder Schwarz, bunte Experimente sind nichts für den Alltag. Eng, weit, figurbetont oder figurumschmeichelnd – zu diesem Schuhwerk sieht die etwas lässigere weiter geschnittene Variante einfach besser aus. Das kann ein Hemdblusenkleid, ein Hängerkleid, Wickelkleid, Trägerkleid sein, das enge Schlauchkleid bleibt dem sexy Partyoutfit vorbehalten. Farben und Muster sind typ- und proportionengerecht abzustimmen, das gilt besonders für kleine und rundlichere Frauen.
Die Oberteil-Kombipartner für Overknees sind sehr flexibel. Der coole Blogger-Style wird mit Oversize-Sweatshirts und Pullis oder winterstarken Ponchos umgesetzt, auch Tuniken und Minikleider zu Jeans oder Hotpants machen eine gute Figur. Jacken und Mäntel können in Taillen-, Hüft- oder Knielänge geschnitten sein, wichtig ist, dass sie den Gesamtlook von Kopf bis Fuß bestens ergänzen.